Rundfunk

 Seit vielen Jahren wird hierzulande um ein Nachfolgesystem für das bewährte UKW-Radio gerungen. DSR, ADR, DAB, DAB+, DVB-T, DVB-S und DVB-C heißen die Verfahren, die uns Hörern digitalen Komfort sowie Wohlklang versprachen und teilweise noch versprechen. Oder ist das Webradio die Zukunft? Wohin führt der Weg und muss man ihm wirklich folgen?

Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich vorab zwei Dinge klären: 1. Viele Radiosender bieten nur noch Programme an, die bestenfalls zur Hintergrundberieselung taugen. Hysterische Moderatoren spielen Hitlisten rauf und runter, deren Sound durch »Optimod« und ähnliche Prozessoren verhunzt wird. Doch noch gibt es Kultur- und Klassikprogramme der ÖffentlichRechtlichen, die höhere Ansprüche befriedigen und absolut hörenswert sind. 2. Radio ist längst durchweg digital, Beiträge und Musik kommen von der Festplatte und werden digital an die Betreiber der Sendeanlagen übermittelt. Wenn heutzutage in Rundfunkstudios Plattenspieler und Tonbandmaschinen rumstehen, dann nur, um historisches Material zu digitalisieren. Aber viele HiFi-Freunde besitzen und nutzen noch hochwertige UKW-Tuner, die eben analog funktionieren und an einer vernünftigen Antenne erstaunlich gut klingen können. Genau deshalb passt das Thema in dieses Magazin: UKW-Radio hat einen besonderen Charme, viele Spitzentuner aus den vergangenen Jahrzehnten, z.B. von KENWOOD, McINTOSH, TANDBERG, REVOX und SANSUI, sind wahre Schmuckstücke, die von ihren Besitzern gehegt und gepfl egt werden – sicher auch von nicht wenigen Mitgliedern der AAA. Und unsereins lehnt eine LP ja auch nicht per se ab, nur weil sie digital aufgenommen wurde. Fortschritt ist relativ Natürlich ist die UKW-Norm limitiert, die Klangqualität erreicht selbst unter optimalen Bedingungen nicht die einer erstklassigen Schallplatten- oder Tonbandwiedergabe. So wurde seit Anfang der 1980er-Jahre an einem neuen Verfahren getüftelt, welches »up to date« und somit digital sein musste – die Compact Disc warf ihre Schatten voraus. In Deutschland startete 1989 das „Digital Satellite Radio“, kurz „DSR“. Ziel waren nicht mehr Programme, sondern ein besserer Klang. Für den Empfang reichten kleine Satellitenschüsseln, wovon einige selbst auf der Fensterbank funktionierten. Die damalige Bundespost speiste diese Programme ergänzend in ihr Kabelnetz ein. Unglaublicherweise arbeitete DSR ohne echte Datenkomprimierung und kam klanglich tatsächlich fast der CD nahe! Kein Wunder, dass diverse renommierte Firmen erstklassige Empfangsgeräte fertigten, die sich anfangs gut verkauften. Doch dann warf die inzwischen privatisierte „Deutsche Telekom“ DSR zugunsten weiterer Fernsehprogramme aus dem Kabelnetz, 1999 wurde schließlich die Ausstrahlung über Satellit eingestellt. So mancher HiFi-Fan besaß plötzlich einen relativ neuen Tuner, der teurer Elektroschrott war. Jammerschade, war diese Technik doch vielversprechend, setzte konsequent auf Qualität statt Quantität. Diese Produktphilosophie wurde bedauerlicherweise schon in den 1990er-Jahre obsolet: der Trend ging dahin, möglichst bequem immer mehr in immer kürzerer Zeit zu konsumieren. Gab es nicht auch noch das „Astra Digital Radio“? Über die Astra-Satelliten wurden von 1995 bis zur Abschaltung der analogen Übertragungen 2012 viele Radioprogramme im speziellen ADR-Modus ausgestrahlt. Doch merklich komprimiert (192 kBit/MP2) und nahezu im Geheimen – dieses System krankte unter anderem daran, dass kaum jemand diese Technik kannte. Geeignete Tuner waren Mangelware, nur wenige Marken wie BRAUN, GRUNDIG und TECHNISAT boten entsprechende Geräte an. Wozu auch, der Kunde sollte die Radiosendungen halt über seinen Fernseher oder SAT-Receiver empfangen, was kaum jemand ernsthaft tat. ADR ist spurlos an den allermeisten Menschen vorbeigegangen, die große Mehrheit nutzte selbstverständlich wie eh und je UKW.

In Sachen „Technik, die keiner kennt“ schoss aber DAB, also „Digital Audio Broadcasting“, den Vogel ab: Bereits 1995 wurden in verschiedenen Bundesländern Radioprogramme über dieses System im »MP2-Codec« ausgestrahlt. Einige Rundfunkanstalten boten hochwertigere Musikprogramme in 192 kBit und mehr an, üblich waren eher 128 kBit. Nur blieb DAB lange ein Fall für Insider, Empfangsgeräte waren rar. Als ich 2001 in einem großen Elektronikmarkt nach „DAB“ fragte, erklärte mir der Fachberater pikiert, dass er Unterhaltungselektronik und kein Bier verkaufe. Sender und Landesrundfunkanstalten überboten sich dabei, dieses Verfahren totzuschweigen. Manche Anstalten stiegen sogar wieder aus dem Sendebetrieb aus und konzentrierten sich auf UKW. Mitte der 2000er schien sich DAB dennoch etabliert zu haben; auch, weil in Ländern wie Großbritannien dafür massiv und national geworben wurde. Nahezu alle renommierten HiFi-Firmen fertigten DAB-Tuner, das Programmangebot wurde größer, ein neuer Radiostandard war geboren? Der Weg in die Gegenwart Bald waren indes nur noch die Besitzer eines DAB-Tuners glücklich, deren Geräte ergänzend UKW empfangen konnten. Denn 2009 entschied die „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“, kurz „KEF“, die Mittel für den DAB-Ausbau wegen „Erfolglosigkeit“ zu streichen, obwohl sich endlich erste Erfolge zeigten. Somit stellten ab 2011 die ersten Sender ihre DAB-Programme ein, 2016 folgte als letzte Anstalt der Saarländische Rundfunk. Wie war das noch: „Wer nicht wirbt, der stirbt.“ Außerdem hielten sich die Vorteile von DAB für die meisten Radiohörer in Grenzen: Warum Geld ausgeben, wenn Opas »SABA Mainau« noch bestens funktioniert und zudem toll klingt? DAB-Autoradios – ein Bereich, in dem dieses System Sinn machte – waren so selten wie weiße Raben. Es erstaunt, dass in Deutschland trotzdem rund ½ Million DABRadios verkauft wurden, die dank deren Inkompatibilität zum Nachfolgesystem zwischenzeitlich wohl meist auf dem Müll gelandet sind. Im Vereinigten Königreich ist DAB hingegen noch immer im Einsatz. Along comes DAB+, der aktuelle Liebling der KEF, einiger Landesrundfunkanstalten und mancher Sender! Obwohl teilweise ab 2011 in Betrieb, wird erst seit dem Start des 2. „Bundesmux“ (kein Scherz, es ist die offi zielle Abkürzung für „Bundesweiter Multiplex“) im Jahr 2017 von einigen öff entlich-rechtlichen Anstalten massiv für DAB+ geworben. Es wird vom „Radio in CD-Qualität“ fabuliert, von einem endlich „völlig rausch- und störungsfreien Empfang“, dem grandiosen „Überall-Radio“, das zeitgemäß selbstverständlich „sehr energieeffi zient“ ist. Gleichzeitig wird UKW als unzuverlässiges, stetig spratzelndes, weil analoges Medium diskreditiert, dessen Sendeanlagen mindestens so viel Strom verbrauchen wie eine Alu-Hütte. Tatsächlich verwendet DAB+ den eff ektiveren »AAC-Codec«, ist daher nicht kompatibel mit DAB. Nur leider wird AAC primär deshalb eingesetzt, um bei gleicher Bandbreite mehr Programme auszustrahlen: 96 kBit sind Standard, 144 kBit eine seltene Ausnahme, viele Private quäken gar mit 72 kBit oder weniger! Die Datenraten unterscheiden sich nicht nur von Sender zu Sender, sondern ferner von Bundesland zu Bundesland. Theoretisch, basierend auf den reinen Messwerten, kommt die Wiedergabe bei höheren Datenraten UKW nahe; klanglich jedoch höchstens auf einer Kompaktanlage vom Lebensmitteldiscounter: Wer bei DAB+ von „CD Qualität“ spricht, ist defi - nitiv ein Fall für den Ohrenarzt. Intensiver Musikgenuss ist aufgrund des künstlichen, blechernen Klangs unmöglich. Allerdings rauscht DAB+ tatsächlich nicht; wird die Signalstärke zu schwach, herrscht absolute Stille, der Empfang bricht schlicht ab. Und das kann schnell passieren! Wenn ich die Außenrollos schließe, ist DAB+ verschwunden, aber mein 50 Jahre altes Koff erradio bekommt mit seiner Teleskopantenne weiterhin diverse Sender in ausreichender Qualität rein. In den USA werden sogar digitale Inhalte über UKW und Mittelwelle ausgestrahlt. Das sogenannte „HD Radio“ wird zusammen mit dem analogen Signal übertragen. Die Datenrate liegt im unteren Bereich von DAB+, die digitalen Signale lassen sich ausschließlich mit dedizierten Radios wiedergeben. So sind Radioprogramme immerhin parallel analog und digital verfügbar, nichts muss abgeschaltet werden. Führend ist in den Staaten, nicht zuletzt aufgrund der Weite des Landes, aber der Satellitenradiodienst »Sirus XM«. Zurück nach Deutschland: Nach Einführung des DVB-T Angebotes fürs Fernsehen im Jahr 2003, erfolgte testweise selbst damit die Übertragung stark komprimierter Radioprogramme. Gottlob hat man das Chaos aber nicht weiter gesteigert und ist wieder davon abgekommen – denn ähnlich DAB, wurde ab 2017 DVB-T vom inkompatiblen »DVB-T2«-System abgelöst. Aufschlussreich ist, dass sich beim digitalen Fernsehen die technische Qualität von HD, über Full HD bis hin zu 4K kontinuierlich erhöht, beim Radio von DSR, über ADR bis DAB+ hingegen reduziert.

Die aktuelle Situation Für Auto- und Küchenradios sowie Radiowecker ist DAB+ fraglos eine feine Sache. Aber wie sieht es bei höheren Klangansprüchen aus, wer mag sich Beethovens 9. oder das Keith Jarrett Trio eingedampft auf 96 kBit anhören? Selbst viele Hörspiele sind bei dieser Datenrate nur schwer genießbar. Gibt es in den Rundfunkanstalten keine Redakteure mehr, die wissen, wie gut ihre Sendungen über den Tuner eines einigermaßen brauchbaren HiFi-Systems klingen können – gerade auf UKW? Wie halten es die oftmals erfahrenen und hochkompetenten Tontechniker des ÖRR aus, wenn ihre Aufnahmen überwiegend als Surrogat-Extrakt gesendet werden? Es gibt folglich kaum reelle DAB+ Tuner als Einzelkomponenten, denn mit HiFi hat der Klang dieses Systems wenig zu tun. Dabei ist es in der Bundesrepublik inzwischen Gesetz, jedes neue Radiogerät, welches Stationsnamen anzeigt, mit einem Empfänger auszustatten, „der zumindest den Empfang und die Wiedergabe digitaler Hörfunkdienste ermöglicht“. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Landesregierung Niedersachsen im vergangenen Jahr die fi nanzielle Unterstützung von DAB+ gestoppt hat. Insgesamt halte ich DAB+ für eine Technik des Übergangs, mittelfristig werden sich in der Breite das Webradio und Podcasts durchsetzen, lineare Medien verlieren leider an Bedeutung. Hinzu kommen die immer populäreren Streaming-Angebote (Big provider is watching you!). Das ist auch deshalb bedauerlich, weil sich immer mehr Menschen in eine Informationsblase zurückziehen, nur noch das hören, was sie bereits kennen und hören wollen. Hätte der NDR früher nicht hin und wieder Jazz in sein Hauptprogramm eingeschmuggelt, wäre ich nie auf diese Musikrichtung gestoßen, da ich mich zuvor nicht dafür interessiert habe. Doch wie sieht es bei uns mit »DVB-S« und »DVB-C« aus, mit Radiostationen, die digital über Satellit oder Kabel frei empfangbar sind? Grundsätzlich handelt es sich hierbei um die zurzeit einzigen ernsthaften Alternativen zu UKW. Zumindest die Programme der ARD-Anstalten fi nden sich dort in der Aufl ösung 320 kBit/MP2, was bei Sendungen mit geringem „Sound Processing“ mehr als akzeptabel ist. Allerdings scheinen manche Provider ihre Kunden vor zu viel Klanggüte schützen zu wollen: VODAFONE reduziert die Datenrate der Radioprogramme im Kabelnetz. Auf meine dortige schriftliche Anfrage, warum, bekam ich erwartungsgemäß keine Antwort. Gleiches gilt für die naive Frage, wann VODAFONE den DAB+ Multiplex ins Kabel einspeist (das geschieht z.B. in der Schweiz).

Guido Puttkammer

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